Der Selbstmord im Kindesalter
pp. 579-588
in: , Vorlesungen über Psychopathologie des Kindesalters, Berlin, Springer, 1926Abstract
Die Verneinung des Willens zum Leben ist psychologisch gesehen der Überdruß am Leben und zwar an einem lustlosen und deshalb als lebensunwert empfundenen und erachteten Leben, und der Selbstmord betätigt den Entschluß zur Vernichtung des eigenen so empfundenen Lebens. Die ganze Kette der bei Erwachsenen zu diesem Ende führenden seelischen Vorgänge ist dem gesunden und unter einwandfreien Bedingungen lebenden Kinde natürlich fremd. Denn es wird, von der naiven Daseinsfreudigkeit abgesehen, in seinem ganzen Verhalten von solchen Trieben und Tendenzen geleitet, die der Lebenserhaltung und der Lebensbereicherung dienen. Kommt es also im Kindesalter zum Selbstmord, so müssen in der Anlage, oder den Erlebnissen und besonderen Umständen, in den Daseinsbedingungen oder der geistigen Gesundheit, oder in mehreren dieser Faktoren gleichzeitig schwere Abweichungen von der Norm vorhanden sein. Geisteskrankheit kann für sich allein zum Selbstmord auch im Kindesalter führen; hier kommt eigentlich nur das manisch-depressive Irresein, also eine schwere depressive Verstimmung, oder die Schizophrenie in Betracht. Sind diese Psychosen klinisch einwandfrei festgestellt und nicht etwa erst aus dem Selbstmord erschlossen oder als wahrscheinlich erachtet, so bedarf es anderer Erklärungen nicht.