

G.S. und das Geheimnis
pp. 307-321
in: Rüdiger Lautmann, Hanns Wienold (eds), Georg Simmel und das Leben in der Gegenwart, Berlin, Springer, 2018Abstract
Geheimhaltung ist ein alltäglicher Modus menschlicher Kommunikation und ein bewährtes Mittel im Wettbewerb um Macht und Profit. Außerdem provozieren Geheimnisse Neugier und Kommunikation, weil sie vielversprechende oder bedrohliche Möglichkeiten vermuten lassen. Deshalb ist Simmels Abhandlung dieses Themas zeitlos aktuell und enthält zahlreiche Anregungen zur empirischen Erweiterung und theoretischen Vertiefung. Allerdings muss kritisch angemerkt werden, dass Simmel seine Erkenntnisse eher kursorisch und assoziativ als systematisch vorträgt: Nach fundamentalen Einsichten in die Selektivität unseres Wissens über einander erörtert er Vor- und Nachteile der Lüge, die Notwendigkeit von Diskretion in anonymen und intimen Beziehungen und die Gründe für Enthüllungen und Verrat. Dann wendet er sich soziologischen Aspekten i.e.S. zu und kommt zum Ergebnis, dass Geheimnisse nicht nur Charakteristika von Geheimbünden sind, sondern Merkmale jeder Organisation. Aus all dem schließt er auf eine zunehmende gesellschaftlicher Differenzierung und "Entindividualisierung" und erweist sich damit als scharfsinniger Beobachter industrieller Lebensverhältnisse.