

Die Schauseite der Poesie
Über literarische Ausstellungen und den literarhistorischen Fernsehfilm
pp. 365-371
in: Hartmut Eggert, Ulrich Profitlich, Klaus R. Scherpe (eds), Geschichte als Literatur, Stuttgart, Metzler, 1990Abstract
Literarische Ausstellungen möchte man nicht missen, wenngleich ihr Besuch ein spröder Genuß ist. Während in Kunstausstellungen das schweifende Auge auf jeden Fall ein paar reizende oder aufreizende Farben erfaßt, braucht es in der literarischen Ausstellung den konzentrierten Blick, um vergilbtes Papier, schwarze Schriftzeichen, graue Kupferstiche, verblassende Aquarelle, verschlissene Fotos überhaupt wahrzunehmen. Jede Zeit hat ihre spezifischen Bewegungen. Walter Benjamin hat das einsame Flanieren in den Passagen als eine der Gesten beschrieben, mit denen sich die Menschen des neunzehnten Jahrhunderts selbst darstellten und die Großstadt eroberten, das Sitzen im Caféhaus, bei dem sie die anderen beobachteten. Das Pilgern durch die Museen ist die Gangart unserer Zeit. Es ist, wie Wallfahrt immer, ein geselliges und zerstreuendes Unternehmen zur Verehrung einer kulturellen Potenz. Das literarische Museum zwingt nun aber den Besucher dazu, das bei dieser Art von Kulturgenuß gewohnte lustvoll-jugendliche Schlendern zu einem greisenhaften Schlurfen zu bremsen.