

Callas oder die chronique scandaleuse
pp. 191-201
in: Irmela von der Lühe, Anita Runge (eds), Jahrbuch für Frauenforschung 2001, Stuttgart, Metzler, 2001Abstract
Auch die beharrlichsten Kritiker der Politik, so mochte Heide Simonis wohl denken, würden die Waffen strecken vor dem poetischen Versuch einer Ministerpräsidentin, sich im Wahlkampf als Parteigängerin der primadonna assoluta zu präsentieren und sich versuchsweise einer »Perfektionistin« ähnlich zu finden, die allerdings (Unterschiede gibt es eben doch) tragisch enden mußte, »als sie ihre Stimme verlor«. Ihr in der Zeit vom 3. Februar 2000 geträumter Traum von einem Besuch der Diva zum Tee ist — neben der ironischen Selbststilisierung einer Profipolitikerin, die ihre preußischen Tugenden mit der Parallele zur Kunst veredeln will, — auch als Einblick in die Werkstatt der Callas-Biographen aufschlußreich. Denn in diesem fingierten Traum wird zugleich reproduziert, was vulgärpsychologische Erklärungsmodelle für ein identifikationshungriges Publikum als Legende gewöhnlich zu offerieren wissen: daß das Bedürfnis der Sängerin nach Perfektion darauf hinweise, geliebt werden zu wollen und daß »die große Sopranistin […] eine unglückliche Frau«, ein Star und »dennoch gescheitert« war.