

Die Entscheidung zum Abschied
Freiheit als Erfolg beim jungen Andersch
pp. 91-110
in: Norman Ächtler (ed), Alfred Andersch, Stuttgart, Metzler, 2016Abstract
Alfred Anderschs Text Die Kirschen der Freiheit1 gehört in ein dichtes Bezugsnetz autobiografischer Erzählungen der Frühzeit, die allesamt die frühen gesellschaftlichen und ästhetischen Sozialisationsbedingungen des Autors fiktionalisieren und aus verschiedenen Perspektiven darstellen. Das gar nicht geheime Zentrum dieser Texte ist die Dialektik von Anspruch, Scheitern und Rückzug in persönlicher, schulischer, politischer und künstlerischer Hinsicht. Die der Dynamik von Scheitern und Rückzug eingeschriebenen Zentralkategorien gehören zusammen und begründen das Thema des Gesamtwerks des Autors: Verrat und Scham.2 Das Scheitern an den selbstgestellten Anforderungen erscheint in den Erzählungen als Verrat im Sinne der Preisgabe vormals als verpflichtend gelebter Überzeugungen – aus konkreter Furcht aber auch aus existenzieller Angst. Die im Verrat verletzte ideale Forderung erweist sich schließlich als Ideologie, der gegenüber nur noch der Rückzug in eine resignative Skepsis möglich ist, die sich kontemplativ in der Form ästhetischer Betrachtung und objektiver Deskription ausdrückt. Ein wichtiger Ausgangs- und Bezugspunkt dieser Beschreibungsästhetik, die der Autor vor allem in den Kirschen der Freiheit ausdifferenziert, findet sich in der Geschichtstheorie Leopold Rankes, der dem Erzähler in formaler wie inhaltlicher Hinsicht wichtig wird. Diese ästhetische Dimension des Frühwerks und ihre intertextuellen Bezüge gilt es im Folgenden darzustellen.