

Medientheoretische Grundbegriffe
pp. 197-215
in: Helmut Wei, Heinz Drügh, Susanne Komfort-Hein, Andreas Kraß, Cécile Meier, Gabriele Rohowski, Robert Seidel, Helmut Weiß (eds), Germanistik, Stuttgart, Metzler, 2012Abstract
Oralität und Literalität im Mittelalter: Die menschliche Stimme ist das älteste Medium, mit Hilfe dessen deutsche Dichtung geformt und verbreitet wurde. Bis ins 8. Jh. blieb die Schriftlichkeit der lateinischen Sprache vorbehalten, doch belegen die von Klerikern angefertigten Schriftzeugnisse zugleich die Existenz und lange Tradierung volkssprachlicher Lieder. So berichtet Einhard um 830 in seiner Biographie Karls des Großen, dass der Kaiser »barbara et antiquissima carmina« habe sammeln lassen, die jedoch nicht mehr erhalten sind. Die deutsche Dichtung des frühen Mittelalters ist somit gekennzeichnet durch ihre Oralität; sie wurde mündlich entwickelt und vorgetragen, rezipiert und tradiert. Um die volkssprachlichen Lieder, Zaubersprüche und Gebete aufzeichnen zu können, mussten sie dem Medium der Schrift angepasst werden. Diese Aufgabe stellte die ersten deutschen Schreiber vor große Schwierigkeiten, da sie mit dem lateinischen Alphabet Laute wiedergeben mussten, die in der lateinischen Sprache nicht existierten.