

Biographieforschung
pp. 299-311
in: Christian Gudehus, Ariane Eichenberg, Harald Welzer (eds), Gedächtnis und Erinnerung, Stuttgart, Metzler, 2010Abstract
»Was wusste Walter Jens?«, fragten Journalisten und Historiker, als im November 2003 Dokumente bekannt wurden, wonach der Tübinger Literaturwissenschaftler 1942 in die NSDAP aufgenommen worden war. Weniger die Tatsache selbst erregte die Gemüter als vielmehr das hartnäckige Beharren des so Beschuldigten darauf, er habe von diesem Beitritt nichts gewusst. War dies nun eine bewusste Lüge, notwendige Konsequenz jahrzehntelangen Verschweigens, auf das sich nicht nur die damals jungen Mitläufer wortlos verständigt hatten? Oder war das von Jens behauptete Nichtwissen subjektiv vielleicht sogar zutreffend, Resultat erfolgreichen Verdrängens eines mit späteren Wertorientierungen nicht zu vereinbarenden Fehltritts? Oder handelte es sich um das schlichte Vergessen eines im späteren Umfeld nicht kommunizierbaren Faktums, eine Erinnerung, die durch jahrzehntelanges NichtAbrufen dem Gedächtnis nicht mehr zur Verfügung stand?