

Vom Entweder—Oder zum Weder—Noch Existenzialistische und absurde Literatur
pp. 217-263
in: Peter Brockmeier, Hermann H. Wetzel (eds), Französische literatur in Einzeldarstellungen 3, Stuttgart, Metzler, 1982Abstract
Dieses Gefühl metaphysischer Angst angesichts der Absurdität der menschlichen Existenz bildet, allgemein gesprochen, das Thema der Stücke Becketts, Adamovs, Ionescos, Genets […] Aber allein vom Thematischen her läßt sich das, was wir hier als Theater des Absurden bezeichnen, nicht bestimmen. Ein ähnliches Gefühl der Sinnlosigkeit des Lebens, der unaufhaltsamen Entwertung aller Ideale, der zwangsläufigen Abkehr von der ursprünglichen Reinheit des Wollens beherrscht auch viele Werke von Dramatikern wie Giraudoux, Anouilh, Salacrou, Sartre und Camus. Und doch unterscheiden sich diese Autoren von den Dramatikern des Theaters des Absurden in einem wesentlichen Punkt: sie fassen ihr Gefühl der Irrationalität menschlicher Existenz in die Form glasklarer, logisch aufgebauter Argumentation. Im Theater des Absurden hingegen ist das Bestreben wirksam, das Bewußtsein der Sinnlosigkeit des menschlichen Daseins und der Unzulänglichkeit rationaler Anschauungsformen durch den bewußten Verzicht auf Vernunftgründe und diskursives Denken zum Ausdruck zu bringen. Sartre und Camus fassen den neuen Gehalt in die alten Formen; die Autoren des Theaters des Absurden hingegen gehen einen Schritt weiter: sie versuchen, ihre Ausdrucksformen in Einklang zu bringen mit den Grunderfahrungen, die sie mitzuteilen haben. Vom künstlerischen (nicht vom philosophischen) Standpunkt aus betrachtet, erfahren die Erkenntnisse von Sartre und Camus im Theater des Absurden eine gültigere Darstellung als in den Dramen von Sartre und Camus selbst.[1]