

Jungbrunnen oder Fegefeuer?
pp. 397-421
in: Rüdiger Lautmann, Hanns Wienold (eds), Georg Simmel und das Leben in der Gegenwart, Berlin, Springer, 2018Abstract
Georg Simmel, Lichtfigur der gegenwärtigen Kultursoziologie, hatte ein Erweckungserlebnis. Mit dem Kriegsbeginn vor hundert Jahren mutierte der Straßburger Gelehrte in einen Patrioten, auf den ersten Blick jedenfalls "feurig bis zum Chauvinismus' (Peter Gay), verdammte er nun doch Universalismus und nationale Weichheiten, da es um das Überleben des "deutschen Individuums' gehe. Der Essay versucht, Simmels damalige, wesentlich ambivalente Position auszuloten und zu klären, wie sie in sein Werk passt. Simmel saß seinerzeit zwischen allen Stühlen. Viel zu feinsinnig, um gängigen Weltmachtphantasien zu verfallen, predigt er im Sinne einer tiefen Zeitverzweiflung dennoch einen guerre à outrance, um – frei nach "das Überpersönliche ist das Persönlichste" – in dessen Fegefeuern die Kultur erneuert zu sehen, die er in der ‚Philosophie des Geldes' bereits abgeschrieben hatte.