Abstract
Wie sehr der Verlust eines nahe stehenden Menschen die Hinterbliebenen ihrer Sprache beraubt und sie auf sich selbst zurückwirft, führt Roland Barthes Tagebuch der Trauer auf bewegende Weise vor. 62 Jahre alt war der bekannte französische Semiotiker und Literaturtheoretiker, als seine Mutter, mit der er seit seiner Kindheit in einer Wohnung zusammen gelebt hatte, im Oktober 1977 starb. Auf karteikartengrosse Zettel notierte der trauernde Barthes seine Gedanken: Es sind die Selbstbeobachtungen eines zutiefst Verzweifelten, der sich immer wieder nicht mit dem Unwiederbringlichen abfinden mochte. Die Notizen, kleine Reflexionen, Beobachtungen, Gedankensplitter aus den Jahren 1977 bis 1979, die er wahrscheinlich nie zu veröffentlichen plante, wurden letztes Jahr im französischen Verlag Edition du Seuil aus seinem Nachlass ediert, nun liegt in der Edition Akzente (Hanser) die deutsche Übersetzung vor. Die Sammlung legt eindrucksvoll Zeugnis ab über eine eindringliche, schonungslose Auseinandersetzung mit der existentiellen Situation der conditio humanae: dem äusserst schmerzvollen Verlust von geliebten Menschen, der Vergänglichkeit und der Endlichkeit des menschlichen Lebens.